»Kettensäge?«

 

»Kettensäge. Öl und Benzin rein. Strippe ziehen, losorgeln.«

 

»Losorgeln?«

 

»Sägegesang ins Holz. Kreischender Solosopran und chorisches Zähnefletschen. Rrrrrrr. Greifzahn, Klaue. Abgesplitterte Rumpfrundung. Einschlafhöhlung. Wandlung: Krokodil, Bärenauge, Katze. Setzling in seinem Schiefersumpf. Sieben Leben eben. Stirb und Werde. Große Form.«

 

Im Sommer 2005 fand auf dem Hof des Kulturvereins Raum 2 in Neu Tramm im Wendland ein Bildhauersymposion statt. Hier gab es die Möglichkeit, aus alten, für die Möbelproduktion unbrauchbaren Eichenstämmen mithilfe von Kettensägen große raumgreifende Skulpturen zu schaffen.

Der Band verfolgt die Arbeiten, die der Bildhauer Wolfgang Heyder bis zur Fertigstellung seiner Skulptur »Sieben Leben« erstellt hat, vom Entwurf über die Verwirklichung und die endgültige Aufstellung der Skulptur in Neu Darchau und wird von Texten begleitet, die in dieser Zeit über die Thematik dieser Arbeit von Wolfgang Heyder geschrieben worden sind.

Sieben Leben eben.

Sieben Leben

 

1

Zur Erde gefallen, Samenkapsel, die aufspringt
und festwächst im Dunkel, Mineralien und Wasser
entgegen, Wurzeln bildet und ausgreift in tiefere
Böden, tastet sich vor, saugt, gräbt, entfaltet sich,
vorgeformter Bestimmung gemäß, die lange Kette
der Artgleichen fortsetzend, in diesem Drängen.
Das erste Leben des Baumes: Kraft, die sich
entfaltet und weiter, wachsen will, durch die
Bodenkrume, hinaus, nach oben, ans Licht.

 

2

Über die Mutterböden hinaus. Geerdet,
ins Freistehende, bildet es Sproß aus und
Stängel, Knospe, Blüte und Blatt. Luft
und Lebensbejahung, unwillkürlich,
Raum greifend, zum Licht. Wo Raum
der wachsenden Pflanze gegeben, keine
Verschattung drängt leicht das zurück.
Jahresringe formt es, Rinde, Kambium,
Bast, Borke, die erdigen Kräfte, auf, bis in
die Spitze zu heben, Umwandlung von
Chlorophyll, Kohlenstoffdioxid, Wasser in
Sauerstoff durch Licht. So wird es gewaltiger
Baum, der seine Krone im Sturm wiegt,
die ausgefahrenen Äste, das Blätterrauschen,
Blüten und neue Samenkapseln reifen.
Das zweite Leben, das eigentliche:
Über der Erde, mit dieser verbunden,
das Wachstum, bis an die Grenze der
eigenen Gestalt, dem Lichte entgegen, bis
diese zurückschrumpft, alt wird und fällt.

 

3

Und wieder fallen Fruchtkapseln
zur Erde. Um den Erzeugerbaum
wachsen neue Zöglinge auf. Die
schlagen sich ein in die Erde,
bilden Wurzeln aus und wachsen,
ihrem inneren Programm gemäß.
Wollen nach oben, den Schatten
durchdringen, den der alte, sie
zeugende Baum wirft. Der wird
bald fallen, frei wird das Feld sein,
in die entstehende Leere wächst
nach. Das dritte Leben: Leben
des Leben zeugenden Baumes als
Fortsetzung der einen Gestalt
in Gestalt der Gezeugten.

In der edition eY Nr.1

 

2012 erschienen
Vom Künstler handsigniert
Softcover
52 Seiten

Drei längere Gedichte:
– Sieben Leben (ein siebenteiliger Zyklus)
– Totem. Ein Pfahl
– Baum

32 Fotos
16,5×0,6×17,5 cm BxTxH

ISBN 978-3-00-037192-9

24 Euro zzgl. Versand

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