Herakles
Dass der höchste Gott, in fremder Gestalt, sich ins
Bett meiner Mutter schlich wie ein Dieb, um
mich zu zeugen, ist Teil meiner Biografie.
Auch Amphitryon legte sich zu ihr, als er aus einem
Krieg zurückkam. Bin ich ein Gott? Bin ich ein Mensch?
Es ist nicht leicht, zwei mögliche Väter zu haben.
Meine Väter machten aus mir einen Helden – Ich
sollte stark sein und unbezwingbar.
Doch da ich der Zweitgeborene bin, hinter Eurystheus,
und nur der Erste bestimmen darf, was geschieht, musste ich dienen.
In seinem Auftrag erschlug ich den nemeischen
Löwen, erwürgte die Hydra und brachte Kerberos,
den Höllenhund, aus dem Hades nach oben ans Licht.
Ich habe ganz Griechenland von Ungeheuern befreit.
Zwölf große Taten machten mich berühmt. Dann
war die Arbeit getan.
Was ist zu tun, wenn nichts mehr zu tun ist?
Nach so vielen Schlachten, die ich siegreich schlug,
waren mir ununterscheidbar geworden Feinde von Freunden von Feinden.
Im Wahn erschlug ich meine Frau und meine Kinder, drei Söhne,
die die Früchte meiner Arbeit ernten sollten.
Nach der Tat wollte ich sterben.
Der höchste Gott blieb fern und unerreichbar.
Amphitryon aber half mir, mich wiederzufinden.
Er wurde, was er nicht sicher war in meinem
Anfang: Er wurde mein Vater, mein Freund.
Erst durch die Blutschuld ist mir bewusst, wer ich bin:
Ich bin kein Gott. Ich bin wie er, ganz sterblich, ein
Mensch, fehlbar, verletzlich, Irrtümern erlegen.
Wolfgang Heyder
Die Doppel-CD präsentiert die Zusammenarbeit zwischen dem Liechtensteiner Komponisten und klassischen Flötisten Hieronymus Schädler mit dem Schriftsteller und Übersetzer Wolfgang Heyder. Die beiden haben zwischen 2000 und 2004 in Liechtenstein miteinander für das dortige Theater gearbeitet, wo unter der Regie von Georg Rootering drei Stücke des Euripides in einer eigenen textlichen wie musikalischen Fassung auf die Bühne gebracht worden ist. Die Texte und die Musik dieses Albums gehen von dieser Erfahrung aus. Texte und Musik bleiben dem Erlebnis, der Antike begegnet zu sein, verhaftet.
Hieronymus Schädler, *1956, lebt in Wetzikon ZH/Schweiz und Liechtenstein; studierte in Zürich (J. Poulain, A. Jaunet) und Paris; schloss sein Studium mit dem Lehr- und Konzertdiplom ab. Teilnahme an Meisterkursen mit P.-L. Graf, M. Debost, Tr. Wye, S. Palm, u.a. Zweifacher Kiwanis-Preisträger und 1. Preis im „Concours International de musique de chambre“ in Martigny. 1999 wurde ihm vom Kulturbeirat der liechtensteinischen Regierung ein Werkjahr zugesprochen.
Hieronymus Schädler schrieb u.a. die Bühnenmusik zur Euripides-Trilogie Herakles (2001) Hekabe (2003) und Die Bakchen (2004) und vertonte die darin enthaltenen, von W.H. übertragenen Chorlieder.
Achill in Vaduz
Achill in Vaduz
Manchmal, wenn ich die Straße
vor dem Kunstmuseum in Vaduz überquere,
rüber will in den Laden, um mir ein Brot
zu kaufen, steht Achill vor mir, er,
der Krieger, Sohn der Thetis, ein Halbgott,
bis auf die berühmte Ferse unverwundbar.
Er ist ein freundlicher Herr, gekleidet
in einen dunklen Anzug, er grüßt, lüpft
seinen Hut wie zum Scherz, dann nimmt er
den Speer, der neben ihm auf dem Boden
liegt, schleudert ihn leichthin, hoch,
mit seiner Rechten, an seinem Schild,
den er über dem Anzug in seiner Linken hält,
vorbei – eine grazile Bewegung, ganz
hoch hinauf und ich sehe ihn fliegen,
höher und höher, aufblitzen im Licht,
der Sonne entgegen – dort hält er sich,
er scheint zu schweben, ganz langsam,
fast ohne Bewegung, da oben am Himmel,
bevor er dann gleitend verschwindet,
weit, hinter Nebel und Wolken,
Berge und Schnee – auf dass er falle und lande,
auf der Landkarte irgendwo unten, seicht,
an des Mittelmeers kultreichen Stränden.
In der edition eY Nr.8
2017 erschienen
Von den Künstlern handsigniert
CD-Cover rot
28 Titel
13,0×1,1×20,5 cm (BxTxH)
ISBN 978-3-9818750-1-0
36 Euro zzgl. Versand