Hans-Ulrich Hirschfelder starb 2006. Er hat zu Lebzeiten nur zwei Gedichtbände veröffentlicht. Das erste Buch hatte den schlichten Titel »Orangen« und erschien 1980, der zweite, schmale Band »Weiße Nacht« 1996. 16 Jahre Abstand. Da hat einer lange gebraucht und genau entschieden, was er tatsächlich für publizierbar hielt. Die beiden Bücher nach über 40 bzw. knapp 30 Jahren wiederlesend, stellen wir fest: Fast alle der veröffentlichten Gedichte sind nicht gealtert, sie haben – was in der Lyrik wichtig ist – Haltbarkeit bewiesen. Sie wirken nicht fremd, nicht staubig, nicht nur aus der Zeit heraus begreifbar. Sie haben ihre Lesbarkeit bewahrt, ihre poetische Kraft.

Deshalb haben wir den Versuch unternommen, mit diesem Buch den Autor und seine Texte wieder sichtbar zu machen als Hommage an einen Freund, der als Dichter zu Unrecht fast vergessen ist. Und wir haben auch seinen Nachlass gesichtet und versucht, die Texte zu entdecken, die eine ähnliche Haltbarkeit unter Beweis stellen, egal ob sie vor zwanzig oder vor vierzig Jahren geschrieben wurden. Es war eine faszinierende Reise und vieles, was von uns entdeckt wurde, hatten wir nicht erwartet. Es lohnt sich also, auch in seinen nachgelassenen Texten zu lesen, den Dichter noch einmal sprechen zu lassen, zu uns, seinen literarischen Freunden und Freundinnen und zu denen, die durch dieses Buch zufällig auf ihn stoßen.

Aus dem Vorwort der Herausgeber

Hans Ulrich Hirschfelder war in meinen Augen ein Vollblutlyriker. Das bedeutet, er war ein Mensch, dessen ganzes Wesen und Trachten darauf aus ist, Gedichte zu schreiben. Poesie war die Erfüllung seines Lebens. Er verbrachte alle Zeit, die er dafür aufwenden konnte, mit dem Lesen, Übersetzen (aus dem Englischen) und Schreiben von Gedichten. Sein erster Gedichtband Orangen, erschienen im Dezember 1980 beim Berliner Verleger Harald Schmid, den er mir persönlich mit einer Widmung versehen, geschenkt hat, steht bei mir auf einem Ehrenplatz im Regal. Ein zweiter Band, Weiße Nacht, folgte erst viele Jahre später.

Aus: »Bloom« Eine Wahlverwandtschaft / Erinnerungen an Hans Ulrich Hirschfelder von Wolfgang Heyder

Der Autor:
Hans Ulrich Hirschfelder, *1954 in Lehnin/ Brandenburg, +2006 in Berlin; aufgewachsen in Hessen und in West-Berlin, wo er auch bis zu seinem Tod lebte. Mitbetreiber der Galerie bloom in Berlin-Kreuzberg von 1980-1984; Herausgeber von literarischen Anthologien in verschiedenen Verlagen, u.a. »Frische Feigen, ein literarischer Früchtekorb« (Insel-Verlag); »Nachtstücke« und »Kopf oder Zahl« (mit Gert Nieke, suhrkamp, Frankfurt/Mn); Gedichtbände: »Orangen«, (Verlag Harald Schmid, Berlin, 1980 und »Weiße Nacht«, 1996)

Im Dezember 2024 haben die beiden Mitherausgeber des Buches Uwe-Michael Gutzschhahn und Wolfgang Heyder Dr. Uwe Kullnick vom Radio Hörbahn in München ein Interview zu Werk und Leben von Hans Ulrich Hirschfelder gegeben.

Dieses ist unter https://literaturradiohoerbahn.com/hans-ulrich-hirschfelder%e2%80%a0-uwe-kullnick-spricht-mit-u-m-gutzschhahn-und-w-heyder-ueber-sein-schaffen-hoerbahn-on-stage/ zu hören.

Außerdem hat der Sender 2 Geschichten von Hans Ulrich Hirschfelder aufgezeichnet: »Carrera« und »Komische Heilige Drei Könige«. Diese sind unter https://literaturradiohoerbahn.com/great-shorties-carrera-von-hans-ulrich-hirschfelder/ und https://literaturradiohoerbahn.com/great-shorties-komische-drei-heilige-koenige-von-hans-ulrich-hirschfelder/ zu hören.

 

Blaue Stadt

 

Alles ist geträumt, alles
ist gesagt, violette Gedichte
zerlaufen an zerfallenen Brand-
mauern, über orange

angestrahlte Autobahnen
bewegungslose Fahrten aus einer Wohnhaft
in die nächste wie über Rollbänder

durch das Programm für vierzehn Tage.
Betonmischer kreischen
für die Sanierung der Zukunft, Straßen-
sperren, aufgestellt
zur Personenüberwachung
in der Hochsicherheitsstadt,

in engen Fotoautomaten Warten
auf schlecht getroffene Fahndungs-
bilder.

Alle Ampeln schalten auf Blau.

Der Lebenshunger ist großer
als das Angebot, Kontaktanzeigen
kullern aus Augen
und verschweigen sich
tanztrunken
in silberblauen Eishimmeln, Nacht-
nebel in der gleißenden Kalte der Scheinwerfer,
zwischen Lautsprecher-
türmen, in fluoreszierender Glitzerkleidung,

kurze Aufenthalte in den Zwielichtzonen,
auf leeren Bahnsteigen warten ein paar so
Freunde auf die letzten Züge.

Geisterfahrer finden nicht
den richtigen Aus-
weg, Müllmänner fegen
die Schminke des letzten Abends
zusammen. Küsse peitschen
durch die Luft, die Liebe
steht herum, ein schönes Mauerblümchen.

Eine Currywurst mit viel
Blut, bitte, Alkohol-
fahnen wehen über der Stadt, Ketchup
fließt durch brüchige Adern,

in Tiefgaragen, auf Hochstraßen,
alles bleibt stehen. Diese Stadt

besteht aus Spannungen
(ein elektrisches Blau!),
aufgeladen in Einfamilien-
zellen, entladen in
weichgespülten Vergewaltigungen.

Ein Druck auf die Uhr,
und die Leuchtziffern zeigen an,
wieviel Zeit noch bleibt.

Laufende Schriften an Hauswänden, die
Ereignisse des nächsten Moments, Problem-
beladene tragen sich an sich vorüber.

Eine Stadt in Fetzen,
unter dem Pflaster ist
nichts. Steine
in den Augen, ein-
geworfene Blicke, deo-
dorierte Träume
auf feuchtem Toilettenpapier.

Das ist das Ende vom Anfang.

Auf einen Mantel
genähte Buchstaben,
NO FUTURE,

und die blauen Träume fließen ab
in die Gullys
wie Slime, das von Dächern tropft,

alles ist versagt, alles
ist verträumt, nichts ist getan, mauer-
umschlossen

eine Stadt, und diese Stadt
hat wirklich ein Ende.

 

In der edition eY Nr. 15

 

»Tänze zwischen Barhockern« von Hans Ulrich Hirschfelder, Mai 2024
Gedichte, Prosa und ein Einakter hrg. Von Andrea Müller, Uwe-Michael Gutzschhahn und Wolfgang Heyder

ISBN 978-3-9818750-8-9

Preis 28 € zzgl. Versand

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